Der Winter 2021/22 droht, eher ungemütlich zu werden: Die Gaspreise eilen schon im Oktober von einem Hoch zum Nächsten, die Anzahl und das Ausmaß extremer Wetterereignisse nimmt weiter zu und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Winter von hohen Energiepreisen und Engpässen gekennzeichnet sein wird. Wir haben vielleicht keine Drachen oder neun Herrscherfamilien, die um einen eisernen Thron kämpfen, aber es besteht kein Zweifel: Winter is coming.
Das Chaos auf dem Gasmarkt hat die Preise in diesem Jahr um 280 Prozent in die Höhe getrieben. Am 5. Oktober erreichte der europäische Erdgas Benchmark ein Rekordhoch: Der niederländische TTF-Gas-Kontrakt lag bei über 107 Euro pro Megawattstunde, und damit 14 Prozent über dem Vortag und gleichzeitig beim höchsten Preis aller Zeiten. Durch diesen Anstieg müssen allein in Deutschland 310.000 Haushalte mit einem Anstieg der Gasrechnungen um 11,5 Prozent rechnen. Der Rekordpreis ist die Folge mehrerer Faktoren: Geringe Öl- und Gasvorräte, der lange Winter im vergangenen Jahr, die geringen Liefermengen aus Russland, die Unterbrechung der Lieferketten aufgrund der Pandemie und erhöhte CO2-Preise.
Kombiniert mit der hohen Nachfrage durch die sich erholende Wirtschaft dürfte sich über den Winter die Knappheit noch weiter verstärken und damit auch die Preise weiter anziehen. Tatsächlich ist der europäische Benchmark-Erdgas-Future (der den Gaspreis in der Zukunft angibt) seit Mai 2020 um 1.300 Prozent gestiegen. Expert:innen befürchten gar, dass in einem kalten Winter nicht genug Gas zur Verfügung stehen könnte, um ganz Europa ausreichend zu versorgen.
Steigende Gaspreise haben auch Auswirkungen auf andere Bereiche. Hohe Erdgaspreise machen Kohle und Öl trotz CO2-Abgaben wirtschaftlich attraktiver, was einen Anstieg der CO2-Emissionen zur Folge hat und da 23 Prozent des Stroms in der EU und etwa 40 Prozent in den USA und im Vereinigten Königreich aus Gas erzeugt werden, steigen auch die Strompreise.
Europäische Gaspreise
In Euro pro Megawattstunde (MWh)
Vielleicht hat es aber auch eine positive (bzw. warme) Seite
Eventuell beschleunigen die hohen Preise aber auch die Energiewende. Studien zeigen, dass steigende Energiepreisen in der Vergangenheit zu einer erhöhten Nachfrage nach Hybridfahrzeugen und PV-Anlagen geführt haben. Mit der zunehmenden Elektrifizierung und engeren Kopplung von Sektoren bietet dies eine Chance zur Dekarbonisierung des Wärmesektors.
Erdgas besteht größtenteils aus Methan – der jüngste IPCC-Bericht hat gezeigt, dass wir härter gegen Methan vorgehen müssen, da es über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet mehr als 80-mal so viel Treibhauspotenzial hat wie Kohlendioxid. Die Internationale Energieagentur (IEA) plädiert in ihrem Bericht „Roadmap to Net Zero“, ab 2025 keine neuen Gas- und Ölheizungen mehr zu installieren, um Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
Die Transformation des Wärmesektors ist ein zentraler Bestandteil der Energiewende. In der EU ist der Sektor für 63,6 Prozent des Energieverbrauchs in Haushalten verantwortlich. Mit der Dekarbonisierung des Stromsektors und einer – verglichen mit Gasheizungen – zwei- bis viermal so hohen Effizienz könnte allein die flächendeckende Einführung von Wärmepumpen die Emissionen von Gebäuden um bis zu 50 Prozent reduzieren.
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage unter 100 Versorgungsunternehmen und regionalen Energieversorgern in Deutschland hielten 85 Porzent die Wärmewende für den wichtigsten Hebel zur Klimaneutralität. Gleichzeitig kann die Transformation des Wärmesektors dazu beitragen, die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten, indem sie die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduziert und so die Kosten für alle Endverbraucher:innen weltweit senkt.
Sichere und günstige Versorgung dank Power to Heat?
Wärmepumpen sind eine relativ neue Technologie, die der Außenluft oder der Erde Wärme entziehen und diese mit Hilfe von Strom in einem zentralen Heizungs- oder Warmwassersystem zirkulieren lassen. Im Vergleich mit Gasheizungen haben sie nicht nur einen deutlich höheren Wirkungsgrad, sondern sind – sofern sie mit grünem Strom betrieben werden – auch noch CO2-neutral.
In ihrem Bestreben, den Treibhausgasverbrauch der Haushalte bis 2050 auf Null zu reduzieren, will die britische Regierung bis 2028 die Installation von 600.000 Wärmepumpen pro Jahr fördern. Auch in Europa sind sie auf dem Vormarsch. Zwischen 2007 und Ende 2020 wurden in 21 europäischen Ländern fast 15 Millionen Wärmepumpen installiert, wobei ein großer Teil der Verkäufe auf Deutschland, Frankreich und Italien entfiel.
Viele Länder fördern den Umstieg auf Wärmepumpen mit finanziellen Anreizen und Subventionen. Eine neue deutsche Bundesförderung für effiziente Gebäude bietet beispielsweise Gebäudeeigentümern oder Renovierern Zuschüsse in Höhe von 35 bis 50 Prozent, wenn sie Wärmepumpen oder Hybridheizsysteme installieren.
Die Installation von mehr Wärmepumpen ist jedoch nur ein Teil des Puzzles.
Ohne Fortschritte in anderen Bereichen werden Wärmepumpen eine große Belastung für das Stromnetz darstellen und so die Versorgungssicherheit gefährden. Da die Haushalte mit großer Wahrscheinlichkeit zur gleichen Jahres- und Tageszeit heizen, entstehen extreme Lastspitzen. Wenn im Vereinigten Königreich bis 2035 beispielsweise 5,7 Millionen Wärmepumpen installiert würden, müssten rund 42 Prozent des Verteilungsnetzes ausgebaut werden, was Kosten in Höhe von 40,7 Milliarden Pfund verursachen würde.
Lokale Stromerzeugung kann hier zum entscheidenden Faktor werden. Die Kombination einer Wärmepumpe mit einer PV-Anlage macht Gebäude unabhängiger von den schwankenden Öl- und Gaspreisen und entlastet das Stromnetz. Durch weitere Anlagen wie Batteriesysteme und Elektrofahrzeuge hinzukommen können Autarkie und Einsparpotential noch gesteigert werden. Intelligente Energiemanagementsysteme wie XENON sind hier entscheidend, um dezentrale Anlagen intelligent zu steuern.
Innovationen wie Plattformen und verstärkte Konnektivität werden für die Verbreitung kohlenstoffarmer Heizungslösungen und die Bewältigung der Verschiebung von Stromnachfrage und -angebot entscheidend sein.
Harald Siebenweiber, Head of Implementation & Customer Success, gridX
Intelligentes und integriertes Energiemanagement
Die Steuerung von Angebot und Nachfrage im neuen Energiezeitalter ohne teure Aufrüstung der Netzinfrastruktur erfordert intelligente, vernetzte Systeme sowie Anreize für die Nutzer:innen, ihre Häuser zu heizen, wenn es günstiger ist.
Harald Siebenweiber, Head of Implementation and Customer Success bei gridX, sagt: „Um den Wärmesektor rechtzeitig zu dekarbonisieren, müssen wir nicht nur die Heizung elektrifizieren, sondern uns auch neuen Technologien zuwenden. Innovationen wie Plattformen und verstärkte Konnektivität werden der Schlüssel zur Skalierung von klimaverträglichen Heizlösungen wie auch zur Steuerung von Stromnachfrage und -angebot sein. Wir müssen auch aufhören, den Wärmesektor isoliert zu betrachten – alle Sektoren müssen zusammenarbeiten und wir müssen uns auf ganzheitliche Lösungen konzentrieren, die die Energienutzung in allen Bereichen optimieren.“
Jan Konopka, Senior Solution Manager bei gridX, ergänzt: „Energieversorger, die die Wärmewende ermöglichen und nicht ins Hintertreffen geraten wollen, müssen die Kompatibilität mit einem Energiemanagementsystem sicherstellen und 'Smart Grid ready' werden. Das ist die absolute Grundlage.“ Unsere Simulationen zeigen, dass durch die Steuerung einer Wärmepumpe, die einen Haushalt mit Raumheizung und -kühlung sowie Warmwasser versorgt, die jährlichen Energiekosten um 7 Prozent gesenkt werden können. Die Details der Simulation sind unten aufgeführt.
Energieversorger erkennen allmählich, dass die Wärmewende nur mit einer weiteren Elektrifizierung und integrierten, flexiblen Erzeugungsanlagen, die sich gegenseitig mit Energie versorgen, um die Nutzung zu optimieren, zu bewältigen ist. Die Nutzung neuer Technologien für ein intelligentes Energiemanagement ist der effektivste Weg, um klimaverträgliche Heizlösungen wie Wärmepumpen schnell zu verbreiten. Darüber hinaus darf die Wärmewende nicht in Isolation betrachtet werden – der Wärmesektor ist einer der CO2-intensivsten, aber nur durch Sektorenkopplung und ganzheitliche Energiemanagementsysteme können die Energiewende, die Wärmewende und die Mobilitätswende bewältigt werden.