Technologische Voraussetzungen
Um zeitvariable Preise in Rechnung stellen zu können, benötigen Energieversorger Informationen über den zeitlichen Verlauf der Lasten von Verbraucher:innen. In der Praxis werden diese Daten im Normalfall von einem Smart Meter geliefert, der den Verbrauch aufzeichnet und die Informationen an den Energieversorger weiterleitet.
Geschichte
Nacht- und Tagstromtarife gibt es in Deutschland seit den 1960er Jahren. Damals wollten Kraftwerksbetreiber Lasten im Laufe des Tages ausgleichen. Um den Verbrauch in der Nacht zu erhöhen, wurde der Strom in der Regel zwischen 20:00 Uhr und 6:00 Uhr morgens mit einem Rabatt verkauft. Infolgedessen wurden sogenannte "Nachtstromheizungen" verkauft, um davon profitieren zu können. Diese Heizkörper heizten nachts mit Strom auf und heizten so dann tagsüber das Gebäude. Das war damals billiger als das Heizen mit fossilen Brennstoffen wie Gas oder Öl. Technisch waren die Haushalte mit zwei Zählern ausgestattet: einem für Nachtstrom und einem für Tagstrom.
Arten dynamischer Tarife
Dynamische Strompreise zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Preise im Laufe der Zeit verändern. Die Preisbildung variiert jedoch stark zwischen den verschiedenen Tarifarten.
Time-of-Use-Tarife
Bei nutzungsabhängigen Tarifen variieren die Preise je nach Tages-, Wochen- oder Jahreszeit. Die Schwankungen sind im Voraus bekannt und folgen einem bestimmten Schema (beispielsweise ein Nacht- und ein Tagespreis oder ein Wochentags- und Wochenendpreis).
Critical-Peak-Tarife
Bei diesen Tarifen sind die Preise meist statisch, können aber in Spitzenlastzeiten erhöht werden. Dann wird jedoch ein fester Aufschlag erhoben. Verbraucher:innen erhalten in der Regel im Voraus eine Benachrichtigung, damit sie ihre Lasten in Phasen außerhalb der Spitzenlastzeiten verlagern können.
Variable-Peak-Tarife
Ähnlich wie bei den statischen Tarifen werden die Spitzenlastzeiten im Voraus bekannt gegeben. Der Aufschlag variiert jedoch abhängig von den aktuellen Großhandelspreisen.
Echtzeit-Tarife
Bei Echtzeit-Tarifen spiegeln die Preise die aktuellen Großhandelspreise wider. In der Regel wird der Day-Ahead-Markt für die Preisbildung herangezogen, daher werden die Preise erst am Vortag bekannt.
Hedge-Tarife
Hedge-Tarife zielen darauf ab, die Anreize von Echtzeit-Tarifen zu erhalten und gleichzeitig die Abhängigkeit der Verbraucher:innen von Großhandelspreis-Schwankungen zu begrenzen. Daher wird den Verbraucher:innen für jeden Zeitraum eine bestimmte Strommenge zugewiesen. Liegt der Verbrauch unter der zugewiesenen Menge, wird den Verbraucher:innen der aktuelle Großhandelspreis erstattet. Übersteigt der Verbrauch die zugewiesene Menge, werden die Verbraucher:innen zu den aktuellen Großhandelspreisen belastet.
Durch diesen Mechanismus sind Verbraucher:innen den Schwankungen der Großhandelspreise nicht vollumfänglich ausgesetzt und haben dennoch einen Anreiz, ihre Last in Zeiten niedrigerer Preise zu verlagern.
Effekt
Mit flexiblen Lasten können Verbraucher:innen bei dynamischen Tarifen erhebliche Einsparungen erzielen.
Zur Veranschaulichung:
Die durchschnittliche einfache Pendlerdistanz in Deutschland beträgt 16,9 km – eine Hin- und Rückfahrt ist also 33,8 km lang.
Davon ausgehend, dass ein EV 20 kWh/100 km verbraucht, sind für jede Hin- und Rückfahrt 6,76 kWh nötig.
Würde man den EV direkt bei der Rückkehr von der Arbeit um 18:30 Uhr wieder aufladen, lägen die Kosten bei 2,48 €. Würde er vor der nächsten Abfahrt um 8:00 Uhr morgens zum günstigsten Preis (26,7 Cent/kWh) aufgeladen, würden die Kosten nur 1,80 € betragen – eine Kostenreduzierung von 68 Cent oder 27 Prozent.
Angenommen: ein:e Verbraucher:in pendelt in 40 Wochen im Jahr fünfmal pro Woche zur Arbeit, macht also insgesamt 200 Pendelfahrten pro Jahr. Unter der Annahme, dass die Abweichung das ganze Jahr über gleich bleibt, würde der/die Verbraucher:in 136 €/Jahr sparen, wenn das Laden des E-Autos in Zeiten mit niedrigeren Preisen verschoben würde.
In der Praxis
Europäische Union
In der Richtlinie 2019/994 verpflichtet die Europäische Union alle Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass alle Verbraucher:innen am Strommarkt teilnehmen können, "insbesondere indem sie ihren Verbrauch den Marktsignalen anpassen". Da es sich jedoch um eine Richtlinie handelt, ist sie erst nach ihrer Umsetzung in nationales Recht tatsächlich anwendbar.
Deutschland
Seit dem 1. Januar 2023 sind in Deutschland Energieversorger mit mehr als 100.000 Kunden verpflichtet, dynamische Tarife anzubieten. Das betrifft somit auch rund 70 Prozent aller Haushalte. Da bis Ende 2022 erst rund 500.000 Smart Meters installiert wurden, erfüllt nur ein kleiner Teil der 41 Millionen Haushalte hierzulande die technischen Voraussetzungen für dynamische Tarife.