veröffentlicht:
21.3.2024
Last updated:

Deutschlands Duck Curve - Erneuerbare Energien in Smart Grids integrieren

Kedar Balasubramanian
Product Owner

Europa will bei der Solarenergie weltweit führend sein. Nach Angaben von Solar Power Europe wurde in der Europäischen Union im Jahr 2022 eine Rekordmenge von 41,4 GW an Solarenergie installiert, 47 Prozent mehr als 2021. Deutschland hat 2022 die meisten Solaranlagen installiert (7,9 GW), gefolgt von Spanien (7,5 GW), Polen (4,9 GW) und den Niederlanden (4 GW). Die EU-Kommission will bis 2025 320 GW an Solar-PV ans Netz bringen, das ist mehr als das 1,5-fache ihrer gesamten installierten Kapazität von 209 GW. Die Europäer werden also einen starken Anstieg der Solarstromproduktion während des Tages feststellen. Welche Auswirkungen hat ein so starker Anstieg der PV-Solarenergie?

Vor etwa einem Jahrzehnt stellte die kalifornische ISO ihre Analogie der „Entenkurve“ vor, die zeigt, dass die minimale Nettolast immer weiter sinkt, je mehr die Nachfrage tagsüber durch Sonnenenergie gedeckt wird. Die Nettolast ist die gesamte Stromnachfrage im System abzüglich der nicht disponiblen Energieerzeugungsquellen, d. h. der Wind- und Solarstromerzeugung. Da der Anteil der erneuerbaren Energien in der Nacht sinkt, während gleichzeitig die Nachfrage steigt, wird der Hals der Ente immer steiler und länger und geht in die berüchtigte „Canyon-Kurve“ über. Daher wird es immer schwieriger, die nahtlose Integration der erneuerbaren Energien und die Gewährleistung einer stabilen Stromversorgung in Einklang zu bringen.

Lasst uns einen Blick auf die kalifornische Entenkurve werfen, die in den sozialen Medien weltweit Wellen geschlagen hat.

Die Duck Curve in Kalifornien

Die minimale Nettolast war im Jahr 2023 so niedrig wie nie zuvor. Als Nettolast bezeichnen wir die gesamte Stromnachfrage im System abzüglich der nicht disponiblen Energieerzeugungsquellen, d. h. der Wind- und Sonnenenergie Erzeugung. Solarenergie sorgt zwar einerseits für eine recht vorhersehbare Verringerung der Nachfrage, ist aber nicht genau steuerbar. Da immer mehr Solarstrom erzeugt wird, kann der Bauch der Ente sogar unter Null gehen. Das passiert, sobald das Angebot die Nachfrage übersteigt und der verbleibende erzeugte Strom entweder gedrosselt, gespeichert oder für eine spätere Nutzung umgewandelt werden kann.

Die untere Abbildung zeigt die Wandlung der Entenkurve in eine Canyon-Kurve. Einfach ausgedrückt: Die einsatzfähigen Ressourcen werden tagsüber reduziert, der Bedarf an Flexibilität steigt jedoch drastisch an, sobald die Sonne untergeht.

Starke Veränderungen in diesen Erzeugungsprofilen bedeuten, dass der Ein- und Ausstieg aus dem Canyon hohe Flexibilität erfordert, um Angebot und Nachfrage auszugleichen.

Das veränderte Lastprofil in Deutschland

Dieser stetige Anstieg der Solarenergie verändert auch das Lastprofil in Europa. Betrachtet man die Gesamtlast in Deutschland über die Jahre 2015 und 2022 und konzentriert sich dabei auf den Anteil der erneuerbaren Energien an der Last und die Restlast (Nachfrage - variable erneuerbare Erzeugung), so stellt man fest, dass mehr erneuerbare Energie die Restlast sinken lässt. Gleichzeitig werden die Ausschläge im Laufe der Jahre volatiler.

Quelle: Energy-charts.info
Quelle: Energy-charts.info

Ein genauerer Blick auf die Gesamtlast und den Anteil der erneuerbaren Energien sowie an der Last und die Restlast ab Mai 2023 zeichnet ein deutliches Bild ihrer Wechselwirkungen.

Quelle: Energy-charts.info

Die Gesamtlast bildet die gesamte Energienachfrage in Deutschland während des Tages ab. Wir sehen eine höhere Nachfrage am Morgen und frühen Abend, gefolgt von einer niedrigeren Nachfrage in der Nacht. Die Restlast ist ein perfektes Spiegelbild des Anteils der erneuerbaren Energien. Das heißt, wenn der Anteil der erneuerbaren Energien höher ist (in der Regel in der Mitte des Tages), ist die Restlast niedriger und damit auch die Abhängigkeit von Primärenergieträgern wie Kohle und Gas.

Jetzt vergleichen wir den niedrigsten Anteil an Residuallast in jedem Jahr von 2015 bis 2023 in Deutschland.

Die Last ist nicht ganz so sauber wie ihr kalifornisches Pendant, zeigt aber den gleichen allgemeinen Trend eines großen Bauches und einer Entenkurve, die in einen Canyon übergeht. Da die Kurven in und aus diesen Tiefen steiler werden, steigt der Bedarf an Flexibilität.

Betrachten wir 2016 und 2023 einzeln, wird dies deutlicher.

Deutschlands Duck Curve wird zur Canyon Curve

Die Nettonachfrage in Deutschland im Jahr 2023 zeigt eine deutlich geringere Tiefe als 2016 mit steileren Flanken auf beiden Seiten. Am 10. April 2023 ist die deutsche Residuallast sogar ins Negative gefallen. Das zeigt auf, dass ein höherer Anteil an erneuerbaren Energien den Ausgleich von Angebot und Nachfrage erschwert, diese Herausforderungen aber mit einem stärkeren Fokus auf nachfrageseitige Flexibilität bewältigt werden können.

Canyoning mit nachfrageseitiger Flexibilität

Mögliche Umsetzungen können folgendermaßen aussehen:

  • Lastverschiebung: Durch Anreize für Verbraucher:innen, Energie zu den richtigen Zeiten zu nutzen, kann die Lastverschiebung erheblich gefördert werden. Beispielsweise durch die Einführung von Zeittarifen und dynamischen Tarifen zum Ausgleich der Nachfragekurven.
  • Heimspeicher: Durch die bessere Nutzung von Haushaltsbatterien können Konsument:innen zu Prosument:innen werden, indem sie überschüssigen Strom ins Netz zurückspeisen. Durch den Einsatz von Elektrofahrzeugen als zusätzliche Speichersysteme mit bidirektionalem Laden werden sie zudem zu Aktivposten, die intelligente Netze flexibler gestalten. Die Regulierung muss jedoch mit der Technologie Schritt halten und solche Demand-Response-Programme fördern.
  • Energiespeicherung: Großbatterien tragen mit ihren schnellen Hochlaufzeiten zur Aufrechterhaltung des Netzgleichgewichts bei.
  • Sektorenkopplung: Durch die Integration von Sektoren kann überschüssiger sauberer Strom genutzt werden, z. B. durch die Verwendung von Wasserstoff zur Speicherung überschüssiger Elektrizität. Ebenso kann die Abwärme aus industriellen Prozessen zur Stromerzeugung verwendet werden, wenn die Nachfrage steigt und die erneuerbare Erzeugung sinkt.
  • Virtuelle Kraftwerke: Durch die Bündelung der Flexibilität von Millionen dezentraler Energieanlagen können diese als eine einzige disponierbare Einheit funktionieren. Das ermöglicht ein enormes Potenzial für die Bereitstellung flexibler Energie, die genutzt werden kann, wenn die Solarproduktion sinkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir uns weder vor der Ente noch vor dem Canyon fürchten müssen. Es geht darum, einfach besser zu verstehen, welche Auswirkungen saubere Energiesysteme auf intelligente Netze haben. Wir müssen die Technologie nutzen, um unsere Stromversorgung so zuverlässig wie möglich zu halten. Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir die Ressourcen haben, die uns zur Verfügung stehen. Wir müssen sie nur gescheiter nutzen.

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