In vielerlei Hinsicht sind die Niederlande ein Vorbild für die Energiewende. Mit 279 Ladepunkten pro 100.000 Einwohner:innen haben die Niederlande die drittgrößte Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge (EVs) in Europa. Der Anteil der von der Regierung geförderten Photovoltaik(PV)-Anlagen auf Einfamilienhäusern ist mit 29 Prozent der zweithöchste in Europa. Doch die Anlagen allein reichen nicht aus. Es gibt noch viel Raum für Verbesserungen.
Der Ausbau des niederländischen Stromnetzes hat mit dem Wachstum der dezentralen Energieressourcen nicht Schritt gehalten, was zu massiven Einschränkungen sowohl bei der Netzabnahme als auch bei der Einspeisung führt. Im Jahr 2022 investierten die Netzbetreiber 3,9 Milliarden Euro in das Stromnetz - doppelt so viel wie im Jahr 2019. Ziel ist es, die Stromnetzkapazität des Landes in den nächsten 10 Jahren zu verdoppeln. Darüber hinaus hat der Aktionsplan zum Ausbau der niederländischen Netzkapazität, der im vergangenen Jahr von nationalen und regionalen Regierungen, Netzbetreibern, ACM und Marktteilnehmern vorgelegt wurde, ergeben, dass den Netzbetreibern entlang der Wertschöpfungskette 13.000 Techniker fehlen .
Der Mangel an Fachpersonal und Material verdeutlicht, dass das Netz nicht mit der sich schnell entwickelnden grünen Energiewende Schritt halten kann. Der niederländische Minister für Klima- und Energiepolitik, Rob Jetten, erklärte gegenüber Bloomberg: „Die Netzinfrastruktur ist meine größte Sorge, wenn man sich unsere Ziele für 2030-2035 ansieht (...). Es wird etwa acht Jahre lang einen Mangel geben.“ Daher müssen andere intelligente und effiziente Lösungen her, die den Betrieb der Anlagen innerhalb der bestehenden Netzinfrastruktur ermöglichen. Nur so kann die dringend benötigte Energiewende herbeigeführt werden.
Knappe Abnahmekapazitäten – Ein Standard in Europa
Die Hauptursache für Engpässe in der Netzkapazität sind die Elektrifizierung des Heizungs- und des Verkehrssektors und der damit verbundene Anstieg der Stromnachfrage. Neue Vorschriften beschleunigen diesen Wandel. So erlaubt das niederländische Klimaabkommen bis 2030 nur noch emissionsfreie Autos, was bedeutet, dass bis dahin 1,9 Millionen Elektro-Pkw erwartet werden. Auch der Logistiksektor und der öffentliche Verkehr werden elektrifiziert. Wenn diese Erwartungen real werden, wird sich die Zahl derderzeit zugelassenen 575.000 EVs bis zum Ende des Jahrzehnts vervierfachen.
Das dichte Ladenetz der Niederlanden
Anzahl der Ladestationen in jeder statistischen Region in Europa, Januar 2023
Die ständig wachsende Zahl von Wärmepumpen in den Haushalten wird gleichzeitig zu einem sprunghaften Anstieg der Stromnachfrage führen. Wie die nachstehende Karte zeigt, hat das niederländische Stromnetz jedoch bereits seine Kapazitätsgrenze erreicht. In einigen Fällen ist keine Kapazität mehr vorhanden, um große Verbraucher, wie z. B. Ladeparks, anzuschließen. Die Karte zeigt die verfügbare Kapazität im Netz für gewerbliche Großverbraucher. Ein Wettbewerb um die letzten verfügbaren Plätze hat begonnen. Wenn wir jedoch Köpfchen statt Kupfer verwenden, kann dieses Problem überwunden werden.
Um Kosten- und Zeitprobleme beim Netzausbau zu überwinden, erkennen Energieunternehmen in den Niederlanden die Notwendigkeit einer intelligenten Stromabnahme bzw. eines nachfrageseitigen Managements. Auch die Regierung treibt dies durch Maßnahmen wie das Aktionsprogramm „Smart Charging for Everyone“ voran. Das Programm soll es ermöglichen, bis 2025 jede Ladestation an einem Ort als Standard intelligent zu gestalten. Ziel ist es, den Netzausbau so weit wie möglich zu minimieren und das Tempo der Energiewende beizubehalten (oder zu beschleunigen).
Ein intelligentes und ganzheitliches Energiemanagement ist hier der Schlüssel. So ermöglicht beispielsweise das Peak Shaving dass Ladestationen für E-Autos die Last automatisch verlagern, um Spitzenlasten zu reduzieren. Und das ohne den Ladekomfort zu beeinträchtigen. Darüber hinaus fördert die intelligente Integration von PV- und Batterietechnologie in die Ladeinfrastruktur die Unabhängigkeit vom Stromnetz. Dies macht die Ladeinfrastruktur umweltfreundlicher, kosteneffizienter, benutzerfreundlicher und schneller zu installieren. Was könnten wir daran nicht mögen?
Für Prosumer - Haushalte, die auch ihre eigene Energie produzieren – wird der Einsatz von intelligenten Energiemanagementsystemen immer wichtiger. Durch die Steuerung von Großverbrauchern, wie EV-Ladeinfrastruktur oder Wärmepumpen und die Maximierung der Nutzung von selbst erzeugtem Solarstrom, wird die Belastung des Stromnetzes verringert. Das verhindert die Abhängigkeit von langsamen und kostspieligen Netzausbauten.
Das niederländische Einspeise Paradoxon
Die zunehmende Stromabnahme ist jedoch nicht die einzige Herausforderung für das Netz. Seit 2004 hat die Regierung Anreize für den Ausbau von PV-Anlagen auf Dächern durch Net Metering geschaffen. Ursprünglich durften maximal 3.000 kWh/Jahr Strom pro Haushalt ins Netz eingespeist werden. Seit 2012 ist dieser Grenzwert abgeschafft, sodass es nur noch wenige Anreize für Haushaltsbatterien gibt. Dies hat zu einer hohen PV-Installationsrate und einer unkontrollierten Einspeisung geführt, was einen enormen Einspeisestau und steigende Kosten für das Ausbalancieren des Netzes zur Folge hatte. Während die Auswirkungen einer einzelnen PV-Anlage auf Privathaushalte eher gering sind, verstärkt die zunehmende Zahl der installierten Anlagen deren kollektive Auswirkungen. Um die steigenden Kosten für die Stabilisierung des Netzes zu decken, beginnen Energieversorger wie Vandebron damit, PV-Besitzern Rücklieferungskosten in Rechnung zu stellen, die auf der Menge der pro Jahr ins Netz eingespeisten Energie basieren. Dies kann zwar die steigenden Kosten der Energieversorger vorübergehend reduzieren, ist aber eher eine Ad-hoc-Lösung als ein langfristig gangbarer Weg.
Eine Möglichkeit, den Einspeisestau zu verhindern, ist eine Umstellung der Regulierung vom Ausstieg aus dem Net Metering auf den Eigenverbrauch. Durch den erhöhten Einsatz von Batterien und eines optimierten Eigenverbrauchs wird der selbst erzeugte Solarstrom intelligent genutzt und nicht zu Zeiten geringer Nachfrage ins Netz zurückgespeist. Energiemanagementsysteme sind ein entscheidendes Instrument, um die Selbstversorgung zu optimieren.
Eine weitere wichtige Lösung sind dynamische Tarife, die Endverbraucher:innen finanzielle Anreize bieten, Strom in Zeiten niedriger Preise zu verbrauchen, wenn die Produktion hoch ist. In den Niederlanden gab es in der ersten Hälfte des Jahres 2023 bereits rund 120 Stunden mit negativen Preisen – dies steht in direktem Zusammenhang mit einem Anstieg des Anteils der variablen erneuerbaren Energien (VRE) an der Gesamterzeugung. Eine intelligente, an schwankende Strompreise angepasste Steuerung der Einspeisung spart den Verbraucher:innen Geld, fördert eine bessere Integration der erneuerbaren Energien und trägt zur Stabilisierung des Netzes bei.
Keine Energiewende ohne intelligente Lösungen
Das Land wird zurückfallen, wenn es sich nicht auf intelligente Lösungen verlegt
Account Executive bei gridX, Mascha Bandow, sagt: „Obwohl die Niederlande bei der Energiewende eine Vorreiterrolle einnehmen, wird das Land zurückfallen, wenn es sich nicht auf intelligente Lösungen verlegt. Wir können uns nicht allein auf den kostspieligen und langsamen Netzausbau verlassen. Selbst die reichlich vorhandenen PV-Kapazitäten reichen nicht aus. Erneuerbare Energien müssen mit Strom verbrauchenden Anlagen, Energiespeichern und dynamischen Tarifen integriert werden, die sicherstellen, dass saubere Energie auf die effizienteste und intelligenteste Weise erzeugt, verteilt und verbraucht wird.“