In Europa werden die Netzbetreiber in Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) und Verteilernetzbetreiber (VNB) unterteilt.
Was ist ein Übertragungsnetzbetreiber?
Ein Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ist eine Organisation, die für die effiziente und zuverlässige Übertragung von Strom von Erzeugungsanlagen über das Stromnetz zu regionalen oder lokalen Stromverteilungsbetreibern verantwortlich ist.
In Europa hat ein Übertragungsnetz in der Regel Spannungsebenen von 220 Kilovolt (kV) bis 380 kV. Die ÜNB sind in der Regel auch für Stromerzeugungsanlagen mit einer Nettoerzeugungskapazität von mehr als 100 Megawatt (MW) zuständig.
Das deutsche Übertragungsnetz ist in vier Regelzonen unterteilt. Für jede dieser Regelzonen ist ein ÜNB zuständig: Amprion GmbH, TransnetBW GmbH, Tennet TSO GmbH und 50Hertz Transmission GmbH.
Das Europäische Netz der Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) dient als kollektive Stimme für 39 Stromübertragungsnetzbetreiber aus 35 Ländern in ganz Europa und weitet seinen Einfluss über die Grenzen der Europäischen Union hinaus aus. Es wurde 2009 im Rahmen des dritten EU-Energiebinnenmarktpakets mit dem übergeordneten Ziel der Demokratisierung der Gas- und Strommärkte in der EU gegründet und mit rechtlichen Mandaten ausgestattet.
Die ÜNB-Mitglieder von ENTSO-E betreuen fünf Verbundnetze und zwei isolierte Systeme (Zypern und Island). Verbundnetze stellen Cluster von Ländern dar, die durch ihre jeweiligen Stromnetze miteinander verbunden sind. In jeder Region ist die Systemfrequenz (normalerweise 50 Hertz, mit geringfügigen Abweichungen) synchronisiert, was bedeutet, dass eine Anomalie an einem einzelnen Punkt in der Region Probleme in der gesamten Zone verursachen wird.
Verbundene Stromnetze erleichtern den Ausgleich von Stromverbrauch und -erzeugung, da es mehr Flexibilität und Schwankungen gibt, die sich gegenseitig ausgleichen, als wenn jedes Land nur sein eigenes Stromnetz ausgleichen müsste.
Rollen und Verantwortlichkeiten der ÜNB
- Steuerung und Betrieb des Übertragungsnetzes und Transport von Strom zu regionalen oder lokalen Verteilungsnetzen
- Verbindung der Netze mit Nachbarländern und Regulierung grenzüberschreitender Stromflüsse
- Gewährleistung von sicherer, zuverlässiger und effizienter Energieversorgung
- Herstellung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu Netzen für alle Beteiligten
- Autonome Verwaltung der Netze, von der Stromproduktion bis zum Vertrieb
- Überwachung des Systembetriebs, der Wartung und des Ausbaus der Infrastruktur gemäß den Vorschriften
- Durchführung von Systemdienstleistungen, nachdem die Märkte geschlossen sind, um die Sicherheit der Energieversorgung zu möglichst geringen Kosten zu gewährleisten. So nutzen die ÜNB unter anderem die Regelenergie aus Frequenzwiederherstellungsreserven, um sicherzustellen, dass das Angebot der Nachfrage entspricht, und um den Bedarf an Notstromerzeugung zu reduzieren. Wiederherstellungsreserven, um sicherzustellen, dass das Angebot der Nachfrage entspricht, und um den Bedarf an Notstromerzeugung zu verringern.
- Beschaffung von Zusatzleistungen, um die Systemsicherheit zu gewährleisten. Dazu können gehören: Schwarzstartfähigkeit (Neustart des Netzes nach einem Stromausfall); Frequenzgang (Aufrechterhaltung der Systemfrequenz); schnelle Reserve (Bereitstellung zusätzlicher Energie bei Bedarf); und so weiter.
Was ist ein Verteilernetzbetreiber?
Ein Verteilernetzbetreiber (VNB) betreibt und verwaltet die lokalen und regionalen Energieverteilungsnetze, die Strom zu den Endverbrauchern transportieren, und ist manchmal auch Eigentümer dieser Netze. Das Verteilungsnetz besteht aus Niederspannungsnetzen (250-400 V) und Mittelspannungsnetzen (6-50 kV). Von den 510 GW erneuerbarer Energiekapazität, die in diesem Jahrzehnt in das öffentliche Netz in Europa eingespeist werden, werden 70 Prozent an das Verteilernetz angeschlossen werden. Die Verteilernetzbetreiber (VNB) sind somit für den Anschluss der erneuerbaren Energien verantwortlich, ermöglichen Flexibilität, unterstützen die Elektrifizierung und befähigen die Verbraucher, sich in einer zunehmend dezentralisierten Energielandschaft zu engagieren.
Um das Clean Energy Package voranzutreiben, eine von der Europäischen Union in Auftrag gegebene Initiative zur Steuerung der Energiewende in Europa, wurde im Juni 2021 die DSO Entity (ihr ENTSO-E-Äquivalent) gegründet. Es bringt VNB zusammen, um eine gerechte Energiewende herbeizuführen, indem es Netzwerkkodizes und -richtlinien entwickelt, die Zusammenarbeit zwischen VNB und ÜNB stärkt und die Best Practices der Energiebranche an relevante Interessengruppen weitergibt.
Ab 2023 hat DSO Entity über 900 Mitglieder aus 27 EU-Mitgliedstaaten, die mehr als 250 Millionen Kunden versorgen.
Rollen und Verantwortlichkeiten von VNB
- Hilfe in Echtzeit: Verfolgung der Netzbedingungen (Überlastung, Transformatorlast, Spannung und Gesamtzustand des Netzes) und Einsatz lokaler Anlagen umgehend in Echtzeit, um die Anforderungen des Verteilungssystems zu erfüllen
- Koordinierung lokaler Ressourcen: Überwachung aller Aspekte im Zusammenhang mit der Verwaltung dezentraler Energieressourcen (DERs) und flexibler Lasten innerhalb eines Stromversorgungsportfolios. Dies umfasst die Prognose der Nettolast, die Planung und die Festlegung der Vergütung für Ressourceneigentümer und Aggregatoren.
- Betrieb von Frei- und Erdkabel, die zu Wohnhäusern oder Unternehmen führen
- Nutzung des Werts von DERs: Ermöglichung der Integration lokaler Anlagen in den breiteren Markt und deren Monetarisierung für Netzdienstleistungen auf Verteilerebene, d. h. Kapitalinvestitionen, Spannungserhaltung, Lastausgleich zwischen den Verteilernetzen, Abfederung von Lastspitzen und Rückflusskontrolle
- Überwachung der lokalen Netzbedingungen und gleichzeitige Erleichterung komplexer Wechselwirkungen zwischen den mit dem Netz verbundenen Energieressourcen
Wie DERs die Rollen von ÜNB und VNB verändern
Bei der konventionellen zentralisierten Stromerzeugung erfolgt die Bewegung der Elektrizität in eine Richtung – sie geht von wenigen großen Kraftwerken aus und erreicht die Endverbraucher:innen über Stromübertragungs- und -verteilungsnetze. Die Dekarbonisierung und Dezentralisierung von Energiesystemen führt jedoch zu einer Neudefinition der Verantwortlichkeiten der Netzbetreiber und erfordert eine stärkere Zusammenarbeit zwischen VNB und ÜNB. Dies wird besonders wichtig in Systemen mit mehr intermittierenden erneuerbaren Energien und dezentralen Energieressourcen.
Die zunehmende Beliebtheit von DERs wie Elektrofahrzeugen (EVs), Photovoltaikanlagen (PV) und Wärmepumpen führt zu erheblichen Spitzenlasten beim Strombezug (z. B. wenn Pendler nach Hause kommen und ihre Elektrofahrzeuge anschließen) oder zu Spitzen bei der gleichzeitigen Einspeisung von Solarenergie am Tag; beide Fälle können das Netz leicht überlasten. Die begrenzten Einblicke der ÜNB in die Aktivitäten der DERs können zu Ungenauigkeiten bei Last- und Erzeugungsvorhersagen führen. Diese Fehler können sich möglicherweise auf das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage im System auswirken.
In der neuen Ära der Stromnetze mit DERs haben die VNB zusätzliche Verantwortlichkeiten, beispielsweise für die Bewältigung von Spitzenlasten oder Netzengpässen, die Bereitstellung von Blindleistungsunterstützung für die ÜNB und die Beschaffung von Spannungsunterstützung. Um die zunehmende Komplexität in dezentralen Energiesystemen zu reduzieren, müssen sich die Beteiligten auf neuartige und vielfältige Weise engagieren.
Die Notwendigkeit der Digitalisierung der Energiewirtschaft
Um die Effizienz eines Stromnetzes mit vielen angeschlossenen DERs sicherzustellen, ist ein nahtloser Informationsaustausch zwischen ÜNB und VNB von entscheidender Bedeutung. ÜNB und VNB können dann Schwachstellen leichter identifizieren und herausfinden, wo miteinander verbundene Einheiten eingreifen können und sollten, um den Anforderungen des Stromsystems gerecht zu werden. Die Schaffung von Synergien trägt dazu bei, die Frequenz zu stabilisieren, Energieschwankungen zu minimieren und den Netzausbau auf ein Minimum zu beschränken.
Die Ausweitung dieses Informationsaustauschs auf kleine Energieanlagen stellt außerdem sicher, dass DERs nahtlos in das Gesamtsystem integriert werden und ihre Nutzung maximiert wird. Lösungen wie ein Managementsystem für dezentrale Energieressourcen (DERMS) ermöglichen nachfrageseitige Flexibilität, um Stabilität, Belastbarkeit und Kosteneffizienz in erneuerbaren Energiesystemen zu gewährleisten.
Das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) und ausgefeilte Softwarelösungen stehen im Mittelpunkt dieses Informationsaustauschs und bringen die Energiewirtschaft an die digitale Spitze. Durch die Integration von Signalen verschiedener Marktteilnehmer, die Einbeziehung von Prognosen, Verbrauchsmustern und Anlagenleistungen in ganzheitliche Energiemanagementsysteme und die Übermittlung von Erkenntnissen an Netzbetreiber können diese das Gleichgewicht in einem immer komplexer werdenden System aufrechterhalten.
Durch die Integration von Netzsignalen in lokale energiemanagementsysteme erhalten VNB beispielsweise die Möglichkeit, DERs effektiv zu überwachen und zu regulieren und so deren optimales und netzfreundliches Verhalten sicherzustellen. Diese Integration ermöglicht einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Optimierung der Autarkie an bestimmten Standorten als auch die Netzstabilität auf einer breiteren Ebene ermöglicht.
Im Projekt „Netzbetrieb 4.0“ hat Westnetz, 100 Ortsnetze zu einem digitalen System verbunden, um die Kapazität des Verteilnetzes optimal auszunutzen. Durch die Integration externer Signale und die Anpassung lokaler Leistungsgrenzen an den Zustand des Netzes kann Westnetz flexible Lasten (mehrere Ladevorgänge für Elektrofahrzeuge) an Netzungleichgewichte anpassen und so die Kapazität des Verteilnetzes optimal nutzen.
Eine weitere Herausforderung für Netzbetreiber ist die fehlende Transparenz über die Auslastung der Netze, insbesondere in der Niederspannung. Software-Lösungen sind entscheidend, neue Erzeugungsanlagen, Verbraucher und Speicher digital ins System zu integrieren. Die Intelligent Grid Platform von envelio ist ein perfektes Beispiel dafür. Sie macht Stromnetze zu digitalen, flexiblen und interaktiven Smart Grids. Wichtige Prozesse in der Netzplanung und Netzbetriebsführung können digital und automatisiert erledigt werden und so bleibt das Netzmodell immer auf dem neuesten Stand.
Da gleichzeitig die Nutzung intermittierender erneuerbarer Energien zunimmt, wird der Bedarf an intelligenten, digitalisierten Lösungen für die Aufrechterhaltung der Energieresilienz und einer sicheren Versorgung immer wichtiger. Digitale Technologien dienen als Grundlage für den effizienten Betrieb intelligenter Netze und die Bereitstellung von Flexibilität durch marktorientierte Mechanismen.