Ursprünglich gegründet, um einen europäischen Markt für Kohle und Stahl zu schaffen, ist der Binnenmarkt noch immer das Herzstück der Europäischen Union. Was jedoch die Energiemanagementsysteme für Privathaushalte (HEMS) anbelangt, so ist Europa nach wie vor ein Flickenteppich lokaler Vorschriften, der auf dem Kontinent sehr unterschiedliche Anforderungen und Möglichkeiten schafft. Wir beleuchten, wie sich dies in Belgien, Deutschland und den Niederlanden auswirkt.
Der Bedarf an HEMS ist größer denn je
Die russische Invasion in die Ukraine lässt die Energierechnungen in europäischen Haushalten in ungekannte Höhen steigen. Während steigende Gas- und Ölpreise Anreize für den Umstieg auf Wärmepumpe und E-Auto schaffen, steigen auch die Strompreise stark an. Integrierte Lösungen für die Stromerzeugung, sprich Solaranlagen, und für den Stromverbrauch, also Batterien, Wärmepumpen und Wallboxen für Elektrofahrzeuge, machen Hausbesitzer unabhängig von fossilen Brennstoffen und steigenden Strompreisen – und bieten die Möglichkeit, den CO2-Ausstoß zu minimieren.
Die Technologie ist bereit, aber die Anforderungen variieren
HEMS kommen in Ländern der gesamten EU zum Einsatz. Unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen bedeuten jedoch, dass sich die Optimierungsziele und die Komplexität von Land zu Land oder sogar von Region zu Region innerhalb eines Landes erheblich unterscheiden (Belgien 👀). Das macht es fast unmöglich, einheitliche Produkte für den gesamten, oben genannten Binnenmarkt zu entwickeln.
In diesem Artikel betrachten wir die Rahmenbedingungen für HEMS in drei europäischen Ländern und die entsprechenden regulatorischen, wirtschaftlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten näher, um zu veranschaulichen, wie diese Abweichungen die Entwicklung einer paneuropäischen Lösung behindern.
Die Länder
🇧🇪 Belgien: Die flämische Region Belgiens, Flandern, könnte als Labor für die europäische Energieregulierung gesehen werden. Verschiedene Tarife und Regularien schaffen bereits Anreize für die intelligente Optimierung der Energieflüsse in flämischen Haushalten. Dies macht Flandern zu einem potenziellen Vorbild für das restliche Europa.
🇩🇪 Deutschland: Das Land war Anfang der 2010er Jahre ein Vorreiter in Sachen PV und ist, wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, nach wie vor der größte europäische Mark. Deutschland hat also ein riesiges – aber noch weitgehend ungenutztes – Potenzial in Sachen Energieautarkie.
🇳🇱 Niederlande: Der niederländische Energiemarkt ist vor allem für seinen beispiellosen Ausbau von PV-Anlagen im Bereich der Privathaushalte bekannt. Bei 17 Millionen Einwohnern haben die Niederländer bis zum Jahr 2022 beeindruckende 1,8 Millionen PV-Anlagen installiert.
Die Kriterien
⏲️ Technologie: Kein intelligenter Zähler. Keine Partie. Der flächendeckende Einbau von vernetzten, digitalen Zählern ist eine Voraussetzung für jede Form der Abrechnung, die nicht auf dem reinen Volumen basiert.
🔌 Infrastruktur: Die Größe der Hausanschlüsse entscheidet darüber, ob eine großflächiger Rollout zusätzlicher, großer elektrischer Lasten wie Wärmepumpen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge reibungslos umgesetzt werden kann.
💰 Anreize: Geld regiert die Welt. Und so schaffen verschiedene Arten von Tarifen finanzielle Anreize für unterschiedliches Verhalten: Kapazitätstarife – also die Abrechnung von Spitzenlasten – schaffen Anreize für Verbraucher:innen, ihre Lastspitzen zu reduzieren; Dynamische Tarife – also die Abrechnung nach dem Zeitpunkts des Verbrauchs – schaffen Anreize für Verbraucher:innen, ihre Lasten in Zeiten abseits der Spitzen zu verlagern; und Einspeisetarife – ins Netz eingespeister Strom aus erneuerbaren Energien wird geringer vergütet als aus dem Netz bezogener Strom kostet – schaffen Anreize für den Eigenverbrauch.
Belgien (Flandern): Die Zukunft ist jetzt
⏲️ Technologie: ⭐⭐⭐
Die Die Einführung der intelligenten Stromzähler (Smart Meter) ist noch nicht abgeschlossen (bisher 29 Prozent der Haushalte). Bei Prosumern ist die Quote jedoch etwas höher.
🔌 Infrastruktur: 9-27 kW
Die Mehrheit der Haushalte verfügt über einen einphasigen Anschluss mit einer Leistung von 9,2 kW. Einige Haushalte verfügen jedoch auch über größere Anschlüsse mit bis zu 27 kW.
💰 Anreize: Net-Metering: ❌ Einspeisung: ✅ Kapazität: ✅ Dynamisch: ✅
Flandern geizt nicht mit Anreizen. Prosumer erhalten eine Vergütung für die Einspeisung von Strom ins Netz. Diese Vergütung liegt unter den Endkunden-Strompreisen und bietet somit einen Anreiz, den Eigenverbrauch zu maximieren. Verbraucher:innen, die über einen intelligenten Zähler verfügen, können sich auch für variable Tarife entscheiden, die sich nach den aktuellen Spotmarktpreisen richten – sowohl für den Verbrauch als auch für die Einspeisung. Darüber hinaus plant die flämische Regierung, ab 2023 Kapazitätstarife einzuführen, mit denen die Verbraucher:innen je nach ihrer Spitzenlast bezahlen müssen.
Zusammenfassung: Flandern gibt einen Vorgeschmack darauf, wie der Energiemarkt in naher Zukunft in vielen anderen Regionen aussehen könnte. Obwohl die begrenzte Netzkapazität physische Beschränkungen mit sich bringt, ermöglicht die fortschreitende Einführung von Smart Metern Anreize für netzfreundlichen Verbrauch. Ab 2023 gibt es für Prosumer Anreize, den Eigenverbrauch zu maximieren, den Netzbezug außerhalb der Spitzenzeiten zu legen und Spitzenlasten zu reduzieren. Mit anderen Worten: Die Anreize für Prosumer sind genau so gesetzt, dass netzdienliches Verhalten belohnt wird.
Deutschland: Eigenverbrauch oder nix
⏲️ Technologie: ⭐
Die Einführung intelligenter Stromzähler wird trotz Planung seit Jahren immer wieder verschoben. Obwohl ein Wandel (endlich) absehbar ist, gibt es bisher nur begrenzte Fortschritte und so sind Smart Meter in Deutschland nach wie vor ein seltener Anblick.
🔌 Infrastruktur: 20 kW
Die Mehrheit der Haushalte ist mit einem dreiphasigen Anschluss mit einer Leistung von etwa 20 kW ausgestattet.
💰 Anreize: Net-Metering: ❌ Einspeisung: ✅ Kapazität: ❌ Dynamisch: ❌Die Einspeisevergütung ist das wichtigste Anreizsystem in Deutschland. Je nachdem, wann eine Anlage installiert wurde, wird dem Betreiber ein fester Betrag pro eingespeister kWh gezahlt. Diese Vergütung ist seit ihrer Einführung im Jahr 2000 immer weiter gesenkt worden. Im Juli 2022 erhielten Prosumer nur noch 6 Cent/kWh.
Zusammenfassung: Der deutsche Markt bietet enorme Anreize für den Eigenverbrauch. Bei aktuellen Endkundenpreisen von 44 Cent/kWh und einer Einspeisevergütung von 6 Cent/kWh haben Prosumer einen Anreiz von 38 Cent/kWh, selbst erzeugten Strom zu nutzen. Da es praktisch keine intelligenten Zähler gibt, sind weder Kapazitätstarife noch dynamische Tarife üblich.
Niederlande: Done is better than perfect
⏲️ Technologie: ⭐⭐⭐⭐⭐Smart Meter werden standardmäßig installiert, wobei die Installationsrate nahezu 100 Prozent beträgt. Dadurch entsteht ein fruchtbarer Boden für verschiedene intelligente Energiedienstleistungen.
🔌 Infrastruktur: 9,2 kW
Die Mehrheit der Haushalte ist mit einem einphasigen Anschluss mit einer Leistung von 9,2 kW ausgestattet.
💰 Anreize: Net-Metering: ✅ Einspeisung: ✅ Kapazität: ❌ Dynamisch: ✅
Das Net-Metering ist in den Niederlanden weit verbreitet und kann als Katalysator für die weit verbreitete Einführung von PV-Anlagen angesehen werden. Das Net-Metering ermöglicht es Prosumern, ihren Zähler buchstäblich zurückzudrehen, so dass für sie kein finanzieller Anreiz besteht, Lasten zu verschieben. Das Net-Metering läuft aber in den kommenden Jahren aus, was die 1,8 Millionen PV-Besitzer dazu zwingt, ihre Anlage intelligenter zu gestalten. Es gibt auch bereits einige Angebote für Einspeise- und dynamische Tarife, denen es aber bisher an Zugkraft fehlt.
Zusammenfassung: Die Niederländer sind unübertroffen, wenn es um die Einführung von PV-Anlagen in Eigenheimen geht. Der erfolgreiche Smart-Meter-Rollout ebnet (zumindest technisch) den Weg für jegliche Form von Tarifen. Dennoch hat das Net-Metering dazu geführt, dass es praktisch keine intelligenten Lösungen gibt. Die Abschaffung des Net-Meterings in Verbindung mit der Zunahme größerer Lasten (durch EVs und Wärmepumpen), die auf die begrenzten Hausanschlüsse (10 kW) treffen, wird in naher Zukunft eine große Chance für integrierte, intelligente Lösungen bieten.
Kein HEMS ist wie das andere
Unter der Annahme eines identischen Aufbaus (PV, Batterie, Wärmepumpe und Wallbox) in verschiedenen Ländern sind die Anreize für Prosumer selten die gleichen. Daher unterscheiden sich auch die Anforderungen an ein HEMS von Land zu Land. Während HEMS in Belgien (Flandern) darauf abzielen sollten, die Spitzenlast zu senken, den Verbrauch in die Schwachlastzeiten zu verlagern und die Selbstversorgung zu maximieren, sind HEMS in Deutschland nur auf die Maximierung des Eigenverbrauchs ausgerichtet. Ein niederländischer Haushalt hingegen hat aufgrund des vorherrschenden Net-Meterings keinen wirklichen Anreiz zur Lastverschiebung.
Bei diesem bunten Strauß an regionalen, regulatorischen und infrastrukturellen Bedingungen sind lokale Anpassungen von HEMS an die jeweiligen Gegebenheiten unerlässlich. Die Vernachlässigung regionaler Bedingungen kann schnell zu durchgebrannten Sicherungen und geringem Nutzen für die Verbraucher:innen führen.
Für internationale Anbieter ist ein flexibler Ansatz für das Energiemanagement daher eine Voraussetzung, um (regulatorische) Anforderungen grenzüberschreitend zu erfüllen. Wahrscheinlich werden starre HEMS aber nicht einmal mit den anstehenden Veränderungen der einzelnen Märkte Schritt halten können.